Krisen und Traumatisierung
Nicht jede Krise ist ein Trauma. Aber jedes Trauma ist eine Krise.
Was ist also eine Krise? Dazu eine Geschichte: Timmy muss jeden Tag in der Früh um 6.30 Uhr aufstehen, um rechtzeitig in die Schule zu kommen. Er wird dazu jeden Tag von seiner Mutter aufgeweckt. Das klappt alles ganz gut und Timmy kommt jeden Tag pünktlich aus dem Bett. Eines Tages muss seine Mutter allerdings für drei Wochen auf eine Kur. Was macht Timmy jetzt?
Übersetzen wir diese Geschichte in ein wenig Fachsprache: Timmy hat jeden Tag bestimmte Herausforderungen zu bewältigen (z. B. pünktliches Aufstehen). Um das zu bewältigen, braucht Timmy eine Strategie und Ressourcen. In seinem Fall ist die Ressource seine Mutter, seine Strategie hat er an diese ausgelagert.
Nun muss seine Mutter für einige Zeit verreisen. Was Timmy nun tun kann, ist auf andere Ressourcen zurückgreifen und eine neue Strategie entwickeln. Z. B. kann er die Ressource Handy nutzen und als Strategie festlegen, dass er sich am Handy den Wecker stellt. Er könnte auch seinen Vater bitten, ihn täglich aufzuwecken. Oder er könnte einfach darauf hoffen, dass er von selbst pünktlich aufwacht. Viele Strategien kann sich Timmy noch überlegen.
Was ist aber, wenn ihm gar keine Strategie einfällt? Timmy würde dann vor einer Herausforderung stehen, die er nicht mehr bewältigen kann. Und genau in diesem Fall sprechen wir von einer Krise: Also immer dann, wenn wir im Leben auf Herausforderungen treffen, für die wir keine Strategie und keine Ressourcen haben, geraten wir in eine Krise. Diese Krisen können klein oder groß, kurz oder lang sein. Und jeder Mensch war sicherlich schon öfter in solchen Situationen.
Wann sprechen wir nun von einem Trauma? Bei einem Trauma muss einer der nachfolgenden Aspekte noch hinzukommen:
- Bei dem Ereignis fürchtest du um dein Leben
- oder du könntest extrem schwer verletzt werden
- oder du wirst sexuell zu etwas gezwungen
- oder du hast eines dieser Ereignisse gesehen und in dir tut sich große Furcht und Verzweiflung auf.
Man schätzt, dass 60% aller Menschen mindestens einmal im Leben eine Traumatisierung erleben. Es kommt also sehr häufig vor und es gibt Wege, mit einer solchen Situation gut umzugehen.
Zwei Typen von Traumata
Man kann Traumata verschieden einteilen. Im Zusammenhang mit der Trauer ist folgende Unterscheidung wichtig:
- kurz andauernde traumatische Ereignisse (Typ I): Unfälle, Naturkatastrophen, Überfall ...
- lang andauernde traumatische Ereignisse (Typ II): Geiselhaft, Missbrauch, Krieg ...
In Bezug auf die Trauer sind für allem die Typ-I-Traumata wichtig. Diese führen zur traumatischen Trauer (siehe auch hier).
In Bezug auf die Trauer ist aber auch noch wichtig, ob Traumata von Menschen verursacht worden sind. Das ist oft auch nicht eindeutig. Ein Flugzeugabsturz zum Beispiel kann die Folge von menschlichem oder technischem Versagen sein. Oder: Begeht ein Mensch freiwillig oder gezwungenermaßen einen Suizid?
Was passiert, wenn du traumatisiert bist?
Ein Trauma kann sich bei dir ganz unterschiedlich äußern:
- plötzliche Erinnerungen mitten im Alltag; kann auch wie ein Film vor deinem Gesicht ablaufen (Flashbacks)
- Schlafstörungen und Albträume
- plötzlich auftretende Gefühle, die durch bestimmte Reize ausgelöst werden
- plötzliche Körperreaktionen wie Schwitzen, Schwindel, Herzklopfen, Zittern, Atembeschwerden, Übelkeit, Kopfschmerzen ...
- bestimmte Orte, Gefühle, Gedanken, Aktivitäten oder Situationen bewusst vermeiden
- teilweises oder vollständiges Vergessen der Situation
- Interessen, Konzentration, Motivation sind verringert
- Gefühl, nicht in der Wirklichkeit zu sein
- Gefühl, neben sich zu stehen
- schnell erregt und reizbar oder schnell müde und matt
- leichteres Erschrecken
Musst du dir Sorgen machen?
In einem Zeitraum von 4 bis 6 Wochen nach dem traumatischen Erlebnis musst du dir bei all dem keine Sorgen machen. In dieser Zeit sind diese Reaktionen völlig normal. Wichtig dabei ist, dass du dir Ruhe gönnst und alles etwas langsamer angehst. Auch solltest du mit deiner Umgebung (Eltern, LehrerInnen, AusbilderInnen) sprechen, dass du mehr Ruhe brauchst und weniger Aufgaben erledigen kannst.
Normalerweise klingen diese Reaktionen also in den ersten sechs Wochen von selbst ab. Wenn das aber nicht der Fall ist, dann spricht man von einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Dann solltest du einen Traumapädagogen oder einen Traumatherapeuten aufsuchen.
Gefahren bei einem Trauma
Zwei konkrete Gefahren bestehen bei einem Trauma:
- Gefahr der Fixierung: Durch das traumatische Erlebnis wird ein früheres traumatisches Erlebnis aktiviert, dass du vergessen hast.
- Gefahr der Dauerhaftigkeit: Bestimmte Reaktionen bleiben mehr als sechs Wochen bestehen. Das geschieht meist dann, wenn du dich nach dem traumatischen Erlebnis von anderen zurückziehst oder du niemanden hast, mit dem du sprechen kannst.
Wann ist das Risiko groß, dass du nach einem Trauma eine Belastungsstörung entwickelst?
Risiken vor dem traumatischen Erlebnis
- wenig Unterstützung von deinen Eltern, Freunden oder anderen Personen
- Schicksalschläge oder Misshandlungen
- Armut der Eltern
- psychische Störung bei dir oder in deiner Familie
- schlechte körperliche Gesundheit
Risiken während des traumatischen Erlebnisses
- Länge, Ausmaß und Wiederholung des traumatischen Erlebnisses
- Du fühlst dich bedroht.
Risiken nach dem traumatischen Erlebnis
- wenig Unterstützung von deinen Eltern, Freunden oder anderen Personen
- weitere Lebensereignisse, die belastend sind
- Dein Trauma wird von anderen nicht anerkannt.
Was kann dir helfen?
Hilfe erhälst du auf alle Fälle bei einem Berater oder einer Beraterin. Er oder sie kann dir ganz genau sagen, was dir in deiner konkreten Situation hilft.
Einiges, was du bei Trauer tun kannst, kann dir auch bei einem Trauma helfen. Lies einfach hier nach.
Hier aber noch ein paar andere Tipps:
- Gönne dir Ruhe, ziehe dich aber nicht völlig von deinen Eltern und Freunden zurück.
- Nimm an Familien- oder Schulveranstaltungen teil, auch wenn es dich Überwindung kostet. Achte aber darauf, dass es dir nicht zu viel wird.
- Wenn du wenig Unterstützung von anderen erhälst, suche dir eine/n Berater/in oder schreibe uns ein E-Mail. Wir beraten dich gern.
- Gehe alles ein bisschen langsamer an. Vertraue auf deine Selbstheilungskräfte.
- Lebe deine Gefühle kreativ aus: Musik, Zeichnen, Töpfern, Theater spielen ...
- Aktiviere deinen Körper, indem du spazieren gehst oder eine Sportart betreibst, die dir Spaß macht.
- Nimm dir jeden Tag zwei- bis dreimal Zeit, um bewusst und achtsam deinen Körper zu spüren und deine Umgebung wahrzunehmen.